Vesterålenherbst

September 2019: Die Fotoreise nach Nord-Norwegen

führt uns zuerst auf die Inselgruppe der Vesterålen. Diese liegen nördlich der Lofoten und damit ca. 300 km nördlich des Polarkreises. Die Vesterålen bestehen aus vielen Inseln, von denen wir in den nächsten Tagen zwei besuchen werden. Bisher ist diese Inselgruppe noch relativ unbekannt im Vergleich zu den Lofoten, aber bei Wanderern ist sie schon bekannt und kein Geheimtipp mehr.
Es ist eine abwechslungsreiche Landschaft, steile Bergflanken erheben sich direkt aus dem Meer, dazwischen liegen weiße Sandstrände. Fjorde, Schären, Flüsse, Seen, Moore und einsame Täler finden wir praktisch überall. Und wie ihr sehen werdet, bieten die Vesterålen tolle Orte und ein phantastisches Licht für Fotografen.

Die Vesterålen sind schon vor über 6000 Jahren besiedelt worden. Fischfang und Stockfischproduktion war die Hauptbeschäftigung der Einwohner. Im 19. Jahrhundert erlebten die Inseln ihre Blütezeit durch intensiven Heringsfang. Das war auch die Zeit, als in Stokmarknes auf der Insel Hadseløya von Richard With die Vesteraalen Dampskipsselskap gegründet wurde (1893), die heute unter dem Namen Hurtigruten weltbekannt ist.
Hier also werden wir einige Tage bleiben und dann mit den Hurtigruten auf die Lofoten fahren, um dort noch eine knappe Woche die beginnende Herbstlaubfärbung zu fotografieren. Wir, das ist eine Gruppe aus neun Fotografiebegeisterten, die unter Regie und Mentoring unserer Reiseleiter Angelika und Manfred schöne Motive und Situationen fotografieren.

So treffen wir uns alle am 4. September nachmittags am Flughafen Harstad in Evenes bei Narvik, besteigen unsere beiden SUV und brausen die knapp 180 km nach Sortland in etwa 3,5 Stunden. Dort beziehen wir unsere Zimmer im zentral gelegenen und schönen Sortland Hotell. Dieses Hotel beherbergt im gemütlichen Speiseraum eine kleine Bibliothek, unter anderem mit Werken von Knut Hamsun. Das Hotels war einige Jahre Heimstatt dieses norwegischen Literaturnobelpreisträgers. Sehr empfehlenswert ist auch die Küche des Hotels. Wir haben alle die verschiedenen Variationen von Fisch- und Fleisch, Salate und Desserts als sehr lecker und reichhaltig empfunden. Am Ankunftsabend esse ich «halbgetrockneten Kabeljau» und erwartungsgemäß ist der Fisch weder trocken noch schmeckt er nach altem Fisch.
Nach dem Dessert gönne ich mir noch einen Aquavit, einen «Fritjof Nansen», benannt nach dem Polarforscher und ein Genuss für alle Liebhaber eines stark gewürzten, etwas süßen Aquavits. Der wird übrigens nicht eisgekühlt getrunken, sondern normal temperiert. Wirklich lecker. Aber wie ich leider feststellen muss, gibt es ihn da oben in keinem Vinmonopolet zu kaufen. Also kein Erinnerungsfläschchen für zuhause.

2. Tag: Rundfahrt auf Langøya

Das Wetter soll nicht gut sein, sagen unsere Wetterapps, aber das stimmt nur begrenzt. Erst einmal ist es nur bedeckt und wir sehen uns den Ort an. Am Nachmittag starten wir zu einer Rundfahrt um die Insel Langøya, auf der Sortland größtenteils liegt.

Später öffnet der Himmel seine Schleusen und schnell haben wir keine Lust mehr auf Fotos im und vom Regen. Wir flüchten über eine toll geschwungene Brücke hinüber auf die benachbarte Insel Hadseløya in den Ort Stokmarknes und suchen ein Café. Das wird schwierig und weil der Regen aufhört, schauen wir uns ein wenig im Ort um. Lohnenswert ist das aber nicht wirklich, es ist halt eine kleine Ortschaft, die auf Zweckmäßigkeit angelegt ist.
Auffällig sind allerdings die vielen farbig angestrichenen Fahrräder, die überall herumhängen und -stehen. Welche Bewandtnis diese Fahrräder haben, weiß ich leider nicht.

3. Tag: Regen und Hurtigrutenmuseum

Der Tag startet mit Dauerregen und so machen wir erst einmal Bildbearbeitung und holen uns Tipps bei den Fachleuten unter uns. Doch bald wird es draußen trocken und wir fahren wie geplant zum Hurtigrutenmuseum in Stokmarknes, das gestern leider gschlossen war. Hier liegt die Wiege dieser weltberühmten Postschifffahrtsgesellschaft und das Museum gibt uns einen sehr netten, intensiven Einblick in die Hurtigrutenwelt. Es wirkt sehr nostalgisch, familiär und ist ein Muß für alle Schifffahrtbegeisterten. Schön sind einzelne dargestellte Szenen an Bord, seien es frühere Kabineneinrichtungen, der Maschinenstand oder der Spüljunge in der Kombüse (habe ich aber leider nicht fotografiert).

4. Tag: Der Norden von Langøya und Nyksund

Das Ziel für heute ist Nyksund, ein Dorf mit besonderer Vergangenheit im Norden von Langøya.
Es ist trocken, fast windstill, der Himmel zeigt schöne Strukturen und die Landschaft erschlägt uns mit ihrer herben Schönheit. Immer wieder bricht die Sonne durch die Wolken, zaubert Lichtreflexe aufs Wasser oder auf die umgebenden Berge. Ich bin manchmal so ergriffen, dass ich keine Lust zum Fotografieren habe, sondern nur schaue. So zum Beispiel an einem stillen See neben der Straße 821 mit hübschen Ferienhäuschen, oder später am Steinlandsfjord, als sich die sonnenbeschienen Berge im stillen Wasser des Steinlandsfjord spiegeln.

Und dann ist da noch das knöcheltiefe Moos, das jeden unserer Schritte zu einem unbeschreiblichen Laufgefühl macht. So etwas Weiches habe ich noch nicht erlebt. Es ist wie ein Gefühl aus der Kindheit, als wir über die elterlichen Betten tobten, nur hier ist das noch viel schöner. Allerdings muss man aufpassen, dass nicht unter dem Moos ein Wasserloch lauert, das Fuß und manchmal auch Knöchel oder gar Wade einnässt. Gut, wenn man Socken zum Wechseln dabei hat.


Überhaupt haben wir unglaubliches Glück, dass es den ganzen Tag windstill ist, so ergeben sich noch mehr Spiegelungen in Hülle und Fülle. Besonders schöne fanden wir etwas weiter nördlich in der Gegend von Strengelvåg, wo der Straßendamm eine sehr seichte und stille Bucht vom Meer trennt.

Weiter geht es in Richtung Norden auf der 821. Am nördlichen Ende Langøyas essen wir in Stø, einem Ort aus wenigen Häusern und einem Campingplatz, die besten Fish´n Chips, die ich seit langem hatte. Kein altes Öl, eine herrlich knusprige Hülle und ein butterzarter Fisch, das war einfach köstlich.
Wir fahren zurück auf der 821 und vor Swartbakken biegen wir rechts ab auf die Fv938 in Richtung Hoydal. Irgendwann wird die Straße zur Schotterpiste und windet sich auf ca. 50 m an der Küste entlang nach Nyksund. Das ist ein kleines Fischerdorf an der Nordwestküste, dass in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts immer mehr Einwohner verlor, weil die größeren Fischerboote nicht mehr in den kleinen Hafen passten. 1985 wurde der verlassene Ort von einem Mitarbeiter der TU Berlin und seinen Studenten «instandbesetzt». Nach Abstimmung mit den Eigentümern und der Kommune wurd dort für 5 Jahre eine internationale Jugendbegegnungsstätte geschaffen. Danach allerdings musste das Projekt beendet werden, weil es keine Pachtverlängerung gab. Heute sind einige Häuser wieder bewohnt, der Ort hat einen gewissen Charme und wird auch fleißig auf der Webseite der Vesterålen beworben. Als wir dort waren, gab es Cafés, Restaurants, Galerien, Künstler und zwei Hotels. Es ist noch offen, ob dieser Ort wieder zu alter Blüte gelangt durch den Tourismus, zu wünschen ist es ihm.

5. Tag Walbeobachtung

Früh um 5:40 Uhr heißt es aufstehen, frühstücken und um 7 Uhr starten wir auf die zweistündige Fahrt durch Nebel und Sonnenaufgang hoch auf die Insel Andøya. In deren nördlichster Spitze liegt Andenes. Wieder haben wir Glück mit dem Wetter. Es ist trocken mit relativ wenig Wind, aber kalt, wir hatten Bodenfrost in der Nacht.
Andenes ist ein Ort, der seit vielen Jahren bekannt ist für seine Walsafaris. Denn ziemlich dicht vor der Küste fällt der Meeresboden auf Tiefen unter 1000 m ab und dort jagen die Pottwale gern nach Kraken. Die Safariveranstalter garantieren, dass man Wale das ganze Jahr über zu sehen bekommt.
Bevor es losgeht, gibt es aber erst einmal eine Einweisung über das richtige Verhalten an Bord. Denn wir sitzen in einer Art Gummiboot mit festem Boden und zwei Reihen von gepolsterten Bänken, die aussehen wie die «Pferde» aus dem Turnunterricht mit vielen Griffen zum Festhalten. Herumlaufen ist nicht erlaubt, solange das Boot fährt. Dann ist da noch das Anziehen des Überlebens-Overalls. Auch das benötigt eine Einweisung, weil es wirklich nicht leicht ist, in die Dinger einzusteigen. Aber unsere «Bordstewardess» Luisa zeigt uns alles geduldig und mit viel Spaß und Gelächter schaffen wir es alle.
Ich bin gespannt auf die Bootsfahrt, denn seefest bin ich wahrlich nicht. Solange wir im geschützten Bereich hinter der Mole sind, ist auch alles klar. Nachdem wir aber den Schutz verlassen haben, dreht der Steuermann das Gas auf und los geht eine wilde Jagd mir rund 20 Knoten (knapp 40 km/h) über die Wellen. Obwohl kaum Wind weht, so haben wir doch etwas Wellengang und das Boot springt und bockt ganz nett. Ich habe eine Heidenspaß an dem wilden Ritt und denke gar nicht an eine eventuelle Seekrankheit.
Nach einer halben Stunde kommen wir im Beobachtungsgebiet an, der Motor wird abgestellt und Luisa horcht mit dem Unterwassermikrofon nach Walgeräuschen. Es dauert keine zehn Minuten, da hört sie einen Wal. Tatsächlich sehen wir einige Minuten später seine Atemfontäne, den «Blas» eines Pottwals in etwa 200 m Entfernung. Dann taucht er auch auf, winkt uns kurz mit seiner Schwanzflosse und taucht wieder ab. Luisa sagt, jetzt dauert es ungefähr eine halbe Stunde, bis er wieder hochkommt. Also warten wir in der leichten Dünung und knipsen ein paar der Möwen, die uns umkreisen.

Die Dünung macht einigen von uns zu schaffen. Die hinter mir sitzende Mitfahrerin fühlt sich gar nicht wohl und lehnt sich öfters über die Gummireling. Schade, ihr macht ihr Gleichgewichtssinn samt Magen für den Rest der Safari einen Strich durch die Rechnung und sie hat nicht viel von dem Ausflug.
Die halbe Stunde ist herum, der Steuermann und Luisa werden unruhig und schauen hier und horchen da. Kein Blas ist zu sehen, kein Wal zu hören.
Wir fahren ein Stückchen weiter und dümpeln wieder lauschend. Da, Luisa wird aufgeregt und ruft etwas von «Pilot». Es ist ein Rudel von Pilot- oder Grindwalen, die plötzlich auftauchen und auf uns zurauschen. Diese Grindwale gehören zur Familie der Delphine und jagen im Rudel nach Tintenfischen und anderen Kopffüßern. Luisa sagt, dass die Grindwale oft die Pottwale vertreiben und deswegen ist wohl auch unser Potti «abgetaucht».

Mehr als eine Stunde kreist das Rudel um uns herum. Wir können deutlich eine Familie unterscheiden an der Größe, wie sie nebeneinander schwimmen und wegtauchen. Es ist ein beeindruckendes Schauspiel, teilweise sind die Tiere keine 5 m vom Boot entfernt. Trotzdem ist das Fotografieren extrem schwierig, da sie praktisch gleichzeitig mit ihrem Blas auftauchen und auch schon wieder weg sind. Und da sie uns auch nicht mitteilen, auf welcher Bootsseite sie auftauchen, ist das Suchen nach Wal, das Fokussieren und Auslösen oft eine Spur zu langsam. Aber es macht Spaß hier auf dem Wasser, wenn die Wale so nah sind und die Zeit vergeht wie Fluge.
Irgendwann kommt die zweite Ladung Touristen und will auch Wale sehen. Also machen wir Platz und sausen mit Höchstgeschwindigkeit zurück nach Andenes.
Das war heute ein toller Erfolg, schön.

Die Insel Andøya hat noch ein paar mehr Sehenswürdigkeiten. So kann man in den Frühlingsmonaten eine Fahrt zum Vogelfelsen Bleikøya machen und auf Andøya gibt es tatsächlich einen Weltraumflughafen (Andøya Rakettskytefelt). Dort starten seit den 1960er Jahren Raketen in den Himmel, teilweise sind es meteorologische Flugkörper, teilweise wohl auch Testraketen. Das Ganze geschieht auch in Zusammenarbeit mit dem deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum (lt. Wikipedia). Und wandern und campen direkt am Strand kann man ebenfalls gut auf dieser Insel in Bleik. Andøya soll sogar den längsten Sandstrand ganz Norwegens haben, sagt «Visit Norway».

Für uns heißt es am nächsten Tag Abschied nehmen von den Vesterålen. Wir besteigen die «Midnadsol», ein Hurtigrutenschiff und fahren weiter auf die Lofoten (s. Lofotenherbst).

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